Ohne Hände keine Wende

von | Nov. 27, 2025

Fachkräftemangel als unsichtbarer Bremsklotz der Energiewende

In diesem und in meinem nächsten Artikel werde ich mich zwei mehr oder weniger gut versteckten „Blockern“ der Energiewende widmen. Ich bin jetzt schon ziemlich gespannt, auf die Reaktionen – denn in dieser Miniserie kann sich keine Seite auf mich verlassen. 

Die Energiewende ist – regelmäßige Leser wissen das – kein technisches Problem mehr. Deutschland verfügt über Know-how, Kapital und entsprechnde politische Zielvorgaben. Wir wissen wie es geht, wir müssten im Grunde nur noch konsequent „machen“. Genau da versteckt sich der erste Blocker. Denn wer ist „wir“? Und ich meine das in diesem Fall mal ganz konkret: wer soll es denn machen? Wer kann überhaupt? Auf alle Fälle sind wir zu wenige. Was nämlich – wenn wir „pünktlich“ fertig werden wollen – in jedem Fall fehlt, sind schlicht die Menschen, die das Megaprojekt Energiewende umsetzen. 

Aktuelle Zahlen zeigen das Ausmaß der Misere: Laut neuen Studien[1] braucht Deutschland bis 2030 mindestens 160.000 zusätzliche Fachkräfte allein für Wind, Solar, Speicher und Netze. Diese Lücke betrifft nicht nur Elektriker oder Monteure, sondern auch Planer, Bauingenieure, IT-Spezialisten und Handwerksmeister. Und gleichzeitig meldet der Spiegel: Junge Akademiker sind zunehmend arbeitslos. Über 46.000 Hochschulabsolventinnen und -absolventen suchen aktuell vergeblich Arbeit – so viele wie seit Jahren nicht. Ein Paradox: Wir haben ein Überangebot an akademisch Ausgebildeten und zugleich einen Mangel an praktisch Ausgebildeten, die die Energiewende tatsächlich umsetzen können. Erlauben Sie mir an dieser Stelle ein kleines bisschen polemisch zu werden: Im zehnköpfigen Vorstand der grünen Jugend sitzen zehn (angehende) Akademiker:innen. Ich gehe davon aus, dass selbst denjenigen, die das Thema nicht ausdrücklich in ihrer Kurzbio erwähnt haben, der Klimaschutz – und damit einhergehend die Energiewende – sehr wichtig ist. Keine einzige Person hat eine handwerkliche Ausbildung, keine einzige studiert oder studierte ein MINT-Fach. Es hat – natürlich – auch niemand eine kaufmännische oder eine verwaltungstechnische Ausbildung. Ich sags mal so: Ich kann so nicht arbeiten. 

Natürlich muss niemand selber Kabel ziehen können, der die Energiewende vorantreiben möchte oder insgesamt mit ihr sympathisiert. Ich muss ja auch kein Pflegefachmann sein, um Probleme in diesem Bereich anzusprechen oder zu kritisieren. Wenn das so wäre, dürfte sich die Junge Union beinahe nur noch zu juristischen Fragen äußern. Ich glaube aber, dass es durchaus von Vorteil ist, wenn man zumindest eine Vorstellung davon hat, was es logistisch bedeutet ca 15 Mio. Gebäude in Deutschland energetisch zu sanieren und was an diesem Satz „so dranhängt“. Ich glaube, dass es von Vorteil ist, den Unterschied zwischen Leistung und Kapazität zu kennen. 

Aber genug auf „die jungen Leute“ geschimpft. Denn strukturelle Probleme lassen sich bekanntlich nicht auf individueller Ebene lösen. Und dieses Problem ist strukturell: 

  • Unser Bildungssystem produziert zu wenige gewerblich-technische Fachkräfte.
  • Umschulung und Weiterbildung laufen langsamer als der Marktbedarf wächst.
  • Die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte scheitert zu häufig an Bürokratie und Anerkennungsverfahren. 

Während also die Politik von Gigawatt-Zielen spricht, fehlen an der Basis die Hände, die Solarmodule montieren, Kabel ziehen, im kommunalen Verwaltungsrecht zuhause sind oder Wärmepumpen installieren. 

Das ist der erste unsichtbare Bremsklotz der Energiewende: nicht fehlende Technologie, sondern ein Arbeitsmarkt, der auf die Zukunft schlecht vorbereitet ist.

Was jetzt aus meiner Sicht passieren muss

  • Energie-Fachkräftepakt: Ein nationales Programm, das Ausbildung, Umschulung und internationale Anwerbung bündelt.
  • MINT-Fächer stärken – Pflichtfächer Mathematik, Informatik & Technik, praxisnahe Lernformen.
  • Schnellspurverfahren für Fachkräftezuwanderung: Weniger Papier, mehr Pragmatismus.
  • Aufwertung der dualen Ausbildung: Gewerblich-technische Berufe müssen wieder gesellschaftliches Prestige bekommen – nicht als Plan B, sondern als Schlüsselrolle.
  • Verzahnung mit Hochschulen: Akademische Bildung muss Praxisanschlüsse bieten – beispielsweise duale Studiengänge in Speicher- und Netztechnik.

Die Energiewende scheitert nicht an zuwenig Sonne oder Wind, sondern daran, dass zu wenige Menschen beides nutzbar machen können. Das deutsche Bildungssystem ist falsch gewichtet: Es bildet zu viele Menschen theoretisch aus – und zu wenige praktisch in den Bereichen, in denen Transformation tatsächlich stattfindet. Für die Energiewende heißt das: Wir brauchen nicht mehr Akademiker, sondern mehr anwendungsorientierte Kompetenz. Und das bedeutet, Bildung vom Kopf auf die Füße zu stellen – mit mehr MINT, mehr Handwerk, mehr Praxis. 

Der Blick nach China

Kein Artikel über die Energiewende ohne den Blick nach China. Hier ist er: In China ist Bildung Teil der nationalen Industrie- und Innovationsstrategie. Seit den 2000er-Jahren verfolgt die Regierung das Ziel, das Land zur technologischen Führungsmacht zu machen – und MINT-Bildung ist das Fundament dafür. Dort gilt Technik als Zukunft, in Deutschland viel zu oft als nerdiges Spezialinteresse.

Ohne Hände keine Wende – das ist kein Spruch, sondern die bittere Realität. Wenn wir die Energiewende konsequent weiter vorantreiben wollen, dann brauchen wir auch einen bildungspolitischen Kraftakt, der die Energiewende personal-fit macht. Wir brauchen junge Menschen, die an diesem Megaprojekt aktiv mitarbeiten wollen und können. 

P.S. Schönen Gruß an unsere Azubis bei Schoenergie. Bachelorarbeiten wie „A Normative Argument for a Militant Climate Democracy“ mögen an der Uni eine Auszeichnung bekommen. Aber Ihr seid es, die die Energiewende bei Wind und Wetter vorantreiben. Ohne euch geht es nicht!

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